Sobald wir es gelernt haben tun wir es – wir setzen einen Schritt vor den anderen. Mal schneller mal langsamer. Zuerst mit zunehmender Sicherheit, später dann, wenn die ersten Falten sich in unseren, mit unzähligen Tiegelchen feinster, aber dennoch ebenso nichtsnutziger Creme, gepflegten Gesichtern Einzug halten, immer langsamer werdend. Diese Gedanken schossen mir in den Kopf, als ich vor kurzem eine Reportage über Fauja Singh sah.

… und kein bisschen träge …

Während andere kaum jemals dieses Alter erreichen werden, läuft er uns immer noch davon. Zugegeben, die 8 Stunden, 25 Minuten und 16 Sekunden, in denen er bei einem seiner letzten Rennen die Strecke bezwungen hat, sind weit weg von allen Weltrekorden. Oder doch nicht? Immerhin hat er es fast in das Guiness Buch der Rekorde geschafft! Hätte er nur eine Geburtsurkunde gehabt … aber im Indien des Jahres 1911 hielt man die wohl für überflüssig 😉 Die Rede ist von Fauja Singh, von einem Hundertjährigen, der zwar nicht aus Fenstern klettert – aber wer weiß das schon so genau? – aber dafür der älteste Teilnehmer auf den Marathonstrecken dieser Erde ist.

Der Liebling der Journalisten

In dem Film treffen die Reporter den Shooting Star der Szene 2011 in einem Hotel in Frankfurt. Auf die Bitte nach einen Interview antwortete der Mann mit dem grauen Bart „Ja“. Er sagt fast immer „Ja“, es sei denn er erhält einen Heiratsantrag französischer Journalistinnen. Da belässt er es lieber bei einem „Baby“, während er seinen zittrigen Händen unter ihr T-Shirt schiebt 🙂 Bevor die Dame sich von ihrem Kuss, den sie ihm trotzdem auf die Lippen gedrückt hat, richtig erholt hat, ist er allerdings schon längst wieder auf der Piste.
In Frankfurt steigt er erst bei Kilometer 36 ein, läuft nicht über die ganze Distanz. Er hat nur ein wenig gejoggt, wie er wenig später sagt. Recht viele Worte für den ansonsten sehr wortkargen alten Turnschuhträger. Sein Englisch ist nicht besonders gut, also übernimmt sein Trainer Harmander Singh die Rolle des Übersetzers. Man staunt, wie viele Sätze er aus den Wenigen seines Schützlings zu machen weiß. So sparsam der sportliche Greis mit Worten ist – aus seinem Trainer, Freund und Übersetzer sprudelt es nur so heraus.

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So lange die Beine tragen

Der Mittfünfziger Harmander Singh trägt zwar den gleichen Namen wie der Hundertjährige, verwandt sind die beiden jedoch nicht. Der Name Singh ist bei gläubigen Sikhs, der indischen Religion denen beide angehören, sehr gebräuchlich.
Auch sonst unterscheiden die beiden sich nicht unerheblich. Harmander nicht gerade ein Hühne und in ein T-Shirt gepresst, dass über den rundlichen Bauch gespannt, doch etwas zu klein geraten wirkt. Stets emsig um die Journalisten bemüht, kaum ein Wunsch der nicht von ihm erfüllt wird. Daneben der Marathonmann. Er wirkt müde und abgespannt. 42,195 Kilometer durch die kanadische Metropole Toronto fordern ihren Tribut. So ein Lauf über mehr als 8 stunden steckt ihm auch nach zwei Wochen doch noch tief in den ziemlich dünnen Knochen. Erstaunlich, dass diese mehr als schlanken Beine ihn überhaupt noch so weit tragen können. Der blaue Turban auf seinem Kopf wirkt zu schwer für ihn. Es scheint, als könne er das Gewicht nicht tragen Immer wieder fällt sein Kinn auf seine Brust. Seht hier seinen Zieleinlauf beim Toronto Marathon (ab 1:15).

Eine (un)glückliche Fügung

Während Fauja schweigend an seinem Turban kratzt, erzählt sein Trainer, aus dem Leben des alten Mannes. Bauer sei er gewesen, damals in der britischen Kolonie Indien. Hatte Wind und Wetter trotzend versucht sich selbst und seine Familie zu ernähren. Seine Frau starb – und kurz drauf auch sein Sohn Kuldip. Zugesehen habe der Marathonmann, ein Unfall sei es gewesen. Nicht leicht, seinem Kind beim Sterben zuzusehen. Fauja ging es schlecht, sehr schlecht. Sogar an Selbstmord habe er gedacht.
Er hat diesen Plan zum Glück verworfen, zog stattdessen zu seinem jüngsten Sohn in einen Vorort von London. Und weil es dort recht langweilig war, suchten er und andere indische Senioren einen Zeitvertreib. Der spätere König des Marathons hatte die zündende Idee.
Was als kleines Wettrennen mit anderen Sikhs begann, sollte für den rüstigen Greis zur Passion werden. Er war zwar nicht der Schnellste, aber von großer Ausdauer. Immer weiter steckte er das Ziel, erhöhte die Distanzen, um als sicherer Sieger hervorzugehen.

Laufen,laufen,laufen … ein Lebenselixier!

Damals in London, bei seinem ersten Marathon, da war er noch schnell. Nur 5 Stunden, 40 Minuten, hat er gebraucht. Gut, da war er ja auch noch jung, mit seinen 92 Jahren 😉 Das mit dem älter werden ist nicht leicht. Die Altenheime sind voll von gebrechlichen Menschen, die Fauja Singhs Söhne und Töchter sein könnten. Der ist stolz auf seine Leistung. Fast so wie noch mal heiraten, sei so ein durchgestandener Lauf, meint er. Wenn er einmal aufhöre zu laufen – dann sei es Zeit zum Sterben.